Demokratiepolitischer Brandherd bei Lehrplänen
Von Camille Lothe
Präsidentin Junge SVP Kanton Zürich
58. So oft steht das Wort „Geschlecht“ im neuen Lehrplan 21. Diese 58 Mal „Geschlecht“ sind auf 30 Seiten verteilt von total 516. Betrachtet man nur den reinen Lehrplaninhalt, ohne Symbolbilder, Inhaltsverzeichnisse oder sonstigen Firlefanz sind es 461 Seiten. Das heisst, dass im Durchschnitt auf jeder siebten Seite das Wort „Geschlecht“ zu finden ist. Mein Favorit: auf Seite 37 des neuen Lehrplans erreicht der Wahnsinn seinen Höhepunkt, ganze sieben Mal findet sich dort das Unwort. Haben Sie das nicht gewusst? Kein Wunder, sie durften ja auch nicht mitreden!
Die Geschlechts- oder neudeutsch auf die Genderfrage war nur eine der unzähligen Beispiel aus dem Lehrplan 21, welche bei der Bevölkerung für Unmut sorgte. Doch, wie konnte es soweit kommen? Dafür bietet es sich an, einen kurzen Zeitlichen Abriss darzulegen. Der effektive Beginn für die Ausarbeitung des Lehrplans 21 ist eine „Kick-Off“ Veranstaltung Ende Oktober 2010, wobei man schon bei dieser Bezeichnung etwas skeptisch sein müsste. Ab diesem Moment arbeiteten ganze 90 Experten aus Schulpraxis und Fachdidaktik an ihrem Meisterwerk. 90 Menschen – das sind 8 Fussballmannschaften mit Ersatzspielern. Nichtsdestotrotz brauchten die Experten etwas mehr als eineinhalb Jahre bis zu einer ersten Version. Im Juni 2012 fanden dann sogenannte „Hearings“ statt mit Kantonen und schulnahen Organisationen. Es brauchte ein weiteres Jahr Arbeit um die geäusserte Kritik in den Lehrplan einfliessen zu lassen und der Öffentlichkeit eine zweite Version zu präsentieren. Gemäss den Verantwortlichen war die Bilanz zum neuen Lehrplan „positiv-kritisch“. Die Resonanz war so „positiv-kritisch“, dass es jetzt ganze 16 Monate brauchte um eine dritte gekürzte Version zu erarbeiten.
Ohne öffentliche Diskussion
Zusammenfassend brauchte es 4 Jahre bis zur Freigabe des neuen Lehrplanes an die Kantone. Von diesen 4 Jahren, wurden ganze 60% der Zeit für die reine Überarbeitung und Anpassung an die Kritik der angehörten Parteien benötigt. Der zeitliche Ablauf beweist, dass wir hier ein demokratiepolitisches Problem haben.
Das Problem liegt primär darin, dass keine öffentliche Diskussion über den Inhalt des Lehrplanes geführt wurde. Es wurden Experten an die Arbeit gesetzt, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen des Volkes stattfinden konnte, mit dem Resultat, dass viel Zeit und Unsummen an Steuergeldern für die Anpassung verschwendet wurden. Ein solches Vorgehen ist höchst bedenklich. Stellen Sie sich vor, Sie beauftragen einen Maler für ihre Hausfassade. Dieser streicht ihr Haus in einem knalligen Rot, jedoch wollten Sie eigentlich ein helles Grün. Daraufhin überstreicht der Maler das Rot mit einem dunklen Grün, mit dem Sie sich zufriedengeben müssen. So kann man die momentane Situation bei der Entstehung von Lehrplänen beschreiben. Ein Gremium erstellt einen Lehrplan, ohne mit dem Auftraggeber – dem Volk – zu sprechen, korrigiert halbpatzig und überlässt das Resultat so zur Umsetzung.
Ebenfalls zu sagen ist, dass nur hochprofessionalisierte Verbände angehört wurden, der einfache Bürger hatte in dieser Diskussion keine Stimme. Nur schon die Einwände der Verbände führten zu einer 28-monatigen Überarbeitungszeit, wobei viele Einwände nicht berücksichtigt wurden und noch heute für Unmut sorgen.
Verbände ja, Volk nein
Wir brauchen, bei so bedeutenden Änderungen wie der Einführung eines neuen Lehrplanes, eine ausgedehnte öffentliche Diskussion. Nur durch eine Auseinandersetzung mit der breiten Öffentlichkeit können die tatsächlichen Bedürfnisse des Volkes frühzeitig in die Entwicklung einfliessen. Es darf nicht sein, dass nur hochprofessionalisierte Verbände angehört werden und der einfache Bürger ausgeschlossen wird. Mit der momentanen Gesetzeslage wird es jedoch so bleiben.
Lehrplan vors Volk sorgt für Druck
Die Mitbestimmungsinitiative „Lehrplan vors Volk“ setzt genau hier an. Der Kantonsrat soll neu Lehrpläne genehmigen und das Volk darf abschliessend mit einem fakultativen Referendum entscheiden. Wieso braucht es diese Änderung? Die Politikwissenschaft hat vielfach bewiesen, dass die reine Androhung eines Referendums zu einem anderen Resultat führt. Sobald sich also Unmut in der Bevölkerung breit macht, ein Referendum in Betracht gezogen wird und daher eine öffentliche Diskussion geführt wird, ist der Druck gross genug, dass Einwände auch tatsächlich in den Prozess einfliessen. Mit dem Status-Quo finden zwar Anhörungen statt, jedoch besteht seitens des Expertengremiums absolut kein Anreiz diese in den Lehrplan einfliessen zu lassen.
Fehlende Kontrollinstanz
Nicht nur die öffentliche Diskussion ist ein zentrales Element einer freien Demokratie, sondern auch die Gewaltenteilung. Jedoch wird genau diese bei der Einführung von Lehrplänen zum Nebenschauplatz. Bis jetzt erarbeitete der Bildungsrat als Expertengremium einen neuen Lehrplan. Expertengremium ist eine sehr zutreffende Bezeichnung, in Anbetracht dass 24% der Mitglieder der Lehrplan Kommission einen Doktortitel tragen. Die Zahl würde wahrscheinlich sehr schnell auf 70 – 90% steigen, wüssten wir welche Mitglieder „nur“ einen Master oder Bachelortitel haben. Hat dieses Akademikergrüppchen einen Lehrplan fertig erarbeitet, so darf es diesen jetzt selber genehmigen. Ja, Sie lesen richtig. Der Bildungsrat genehmigt abschliessend seine eigene Arbeit. Es ist ein demokratiepolitischer Brandherd, ein so bedeutendes Gremium wie den Bildungsrat mit einer Selbstlegitimierungsmacht auszustatten. Es braucht in einer Demokratie eine starke Kontrollinstanz, die einen Machtmissbrauch verhindert. Diese Instanz ist bei der Einführung von Lehrplänen schlicht und einfach inexistent. Der Kantonsrat hätte die Möglichkeit einzelne Bildungsräte nicht wiederzuwählen, jedoch ist nicht nachvollziehbar, wer welchen Einfluss auf den Lehrplan hatte. Einen Direktverantwortlichen auszumachen ist also faktisch unmöglich. Das Resultat: ein Bildungsrat mit Selbstlegitimierungskraft und ohne Rechenschaftspflicht.
Für mehr demokratische Mitsprache
Zurück zu den Geschlechtern: Dieses Beispiel ist ein Sinnbild wie heute Lehrpläne entwickelt werden. Der einfache Bürger wird aus einem elementaren bildungspolitischen Prozess ausgeschlossen, die öffentliche Diskussion im jetzigen System wird konsequent verweigert und der Bildungsrat entwirft Lehrpläne nach eigenem Ermessen. Es ist Zeit, für mehr demokratische Mitsprache bei der Einführung von neuen Lehrplanen. Nur ein Ja zur Mitbestimmungsinitiative „Lehrplan vors Volk“ kann zu einer Änderung dieses verfilzten Systems führen. Es bleibt zu sagen, dass die 90 Experten wohl besser ein Fussballturnier spielen würden anstatt den ganzen Tag über Geschlechter zu philosophieren.