von Camille Lothe

Man stelle sich vor, das Volk müsste über folgendes Reformpaket abstimmen: Artikel 1: Die Höchstgeschwindigkeit auf Nationalstrassen wird auf 150 Kilometer pro Stunde erhöht. Artikel 2: Jahreslöhne über 100 000 Franken sind verboten.» Dieses Gedankenexperiment stellte kürzlich eine Zürcher Zeitung auf. Nein, es geht dabei nicht um einen Artikel über einen verwunderlichen Zusammenschluss von Automobilisten und Sozialisten, sondern um die Steuervorlage und AHV- Finanzierung kurz STAF. Die Wirtschaftskommission des Ständerats verbindet in ihrem eigenen Gedankenexperiment die Steuervorlage 17 mit einem «Zückerli» von 2 Milliarden für die AHV.

Es stellt sich die Frage, wie hier der Stimmbürger abstimmen soll, der das eine befürwortet und das andere ablehnt. Die Antwort ist einfach: er kann nicht. Um eine solche Situation zu verhindern, verlangt die Bundesverfassung den Grundsatz der «Einheit der Materie». Die Einheit der Materie äussert sich als Koppelungsverbot. Die Stimmberechtigten dürfen nicht genötigt werden, mit nur einem Wort, sprich Ja oder Nein, über Dinge zu befinden, die keinen ausreichenden Sachzusammenhang aufweisen. Doch genau dies möchte die Bundesversammlung mit der Verknüpfung von Reform der Firmensteuer und dem «Zückerli» für die AHV tun. Dabei handelt es sich um einen klaren Verstoss gegen den Grundsatz der Einheit der Materie und damit um einen Verstoss gegen die Verfassung.

Die Bundesverfassung verlangt die Einhaltung des Grundsatzes der Einheit der Materie zwar ausdrücklich nur bei der Teilrevision der Verfassung i.S.v. Art. 194 Abs. 2 BV. Der Grundsatz kann aber gemäss Lehre auch aus einem weiteren Verfassungsartikel hergeleitet werden. Art. 34 Abs. 2 BV garantiert die «unverfälschte Stimmabgabe» der Bürger. Aus diesem Grundsatz leitet auch das Bundesgericht den Grundsatz der Einheit der Materie für Kantonsverfassungen und für Gesetze ab. Aufgrund der Normenhierarchie ist jedoch klar, dass für Gesetze ein gewisser Spielraum besteht, welcher bei einer Teilrevision der Bundesverfassung nicht gegeben ist. Es gehört zur eigentlichen Funktion des Parlaments, tragfähige Lösungen zu entwickeln und politisch akzeptable Kompromisse auszuhandeln. Das Gesetzgebungsverfahren gibt durch seine mehrstufige Annäherung an den definitiven Gesetzestext die Möglichkeit einer breiten Berücksichtigung der Betroffenen. Es ist ein Aushandlungsprozess, welcher eine möglichst hohe demokratische Legitimation der Ergebnisse gewährleisten soll. Das Parlament verfügt dafür über weite Handlungsspielräume. Nichtsdestotrotz, um es in den Worten von Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamts für Justiz, zu sagen: «Unzulässig ist aber die Verknüpfung von Vorlagen, die miteinander in keinerlei Zusammenhang stehen.»

Das Bundesgericht urteilte 2011 über eine Vorlage aus dem Kanton Neuenburg. Dabei wurden zwei Gesetzesvorlagen durch das Neuenburger Parlament mit einer Verknüpfungsklause versehen. Die eine Vorlage würde nur in Kraft treten, wenn auch die andere in Kraft treten würde. Dabei ging es um die Verknüpfung der Unternehmenssteuer mit dem Gegenvorschlag einer Initiative zur Verbesserung des Angebots an Kindertagesstätten.

Das Bundesgericht sah hier eine Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie, da beide Vorlagen unterschiedliche Materien beträfen und nicht dasselbe Ziel verfolgten. «Der Stimmbürger kann seinen Willen nicht mehr frei ausdrücken», urteilte das Bundesgericht.

Es zeigen sich auch Bedenken seitens des Parlaments. Die Wirtschaftskommission des Ständerats verlangte eine Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz zur Frage der Vereinbarkeit der Einheit der Materie mit der STAF. Diese Stellungnahme meint, dass die Ergänzungen betreffend AHV-Finanzierung sich unter dem Aspekt der Einheit der Materie nicht so eindeutig beurteilen lassen. Ebenfalls wird erwähnt, dass die Unternehmensbesteuerung und die Änderungen des AHVG unterschiedliche Sachgebiete betreffen und dass der ,,sachliche Zusammenhang“, der für die Verknüpfung in einer Vorlage vorausgesetzt wird, jedenfalls nicht in die Augen springe. Diese Wortakrobatik bedeutet nichts anderes, als dass schlicht und einfach für den Stimmbürger kein sachlicher Zusammenhang besteht und damit die unverfälschte Stimmabgabe nicht garantiert ist. Hier wird die Verfassung verletzt.

Während im Parlament von einer «Sternstunde des Parlamentarismus» gesprochen wird oder ein «kleines Kunstwerkes des politischen Kompromisses» heraufbeschworen wird, werden schamlos zwei Dinge in Form gepresst, die nicht zusammengehören. Es wird gesagt, es sei «im Moment die beste Lösung». Dabei ist offensichtlich, dass diese «beste Lösung» eine kaltblütige Täuschung ist. Hier wird das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik hintergangen. Es ist ein Affront gegenüber dem Souverän. Es ist eine in sozialistisches Rot gehüllte Täuschung, welche hier dem Stimmbürger als tragfähige Lösung verkauft wird. Wer ein zwei Milliarden «Zückerli» als Preis in der Politik braucht, um dem Stimmbürger eine Reform zu verkaufen, scheut eine sachgerechte Lösung.

Sollte diese skandalöse Verknüpfung sachfremder Geschäfte erfolgreich sein, ist dies eine Einladung zu einer «Zückerli-Politik». Realpolitische Lösungen werden verhindert, die Politik wird mehr und mehr zu einem käuflichen Tauschgeschäft. Es reicht, die Gegenseite mit dem richtigen «Zückerli» zu locken und damit die effektiven Probleme an die nächste Generation abzuschieben.

Unser bürgerliches Komitee sagt klar Nein zu diesem giftigen «Zückerli»! Wir fordern eine Rückkehr zu sauberer Parlamentsarbeit, auch wenn sie mühsamer ist. Es ist die Aufgabe der Politik, ehrliche Reformen aufzugleisen, anstelle von undurchsichtigen Täuschungen. Der Steuer-AHV-Deal hätte nie so beschlossen werden dürfen. Es gilt daher, diesen fatalen Tabubruch per Referendum rückgängig zu machen und die unverfälschte Stimmabgabe zu garantieren.

Jetzt Referendum unterschreiben: www.neinstaf.ch